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Darum geht es:
Kann aus einem Experiment die große Liebe werden?
Hildy und Paul, beide 18, nehmen an einem psychologischen Experiment teil: die wissensdurstige, aber etwas chaotische Hildy aus Interesse und tausend anderen Gründen. Paul aus einem einzigen: weil er die Teilnahme bezahlt bekommt. Und so sitzen sich die beiden in einem kargen Universitäts-Raum gegenüber und stellen sich Fragen, die zwischen ihnen Liebe erzeugen sollen. Fragen, die zunächst scheinbar banal sind (»Wie sähe ein perfekter Tag für dich aus?«) und dann immer persönlicher werden (»Was ist deine schlimmste Erinnerung?«). Fragen, die Hildy im wahren Leben nie jemandem wie Paul stellen würde, dem gut aussehenden Typ, der sich für nichts und niemanden interessiert, am wenigsten für Hildy. Oder?
(c) Penguin Random House
Meine Meinung:
Etwa fünf Jahre lang lag dieses Buch auf meinem Stapel ungelesener Bücher, wo es damals einziehen durfte, weil mich die 36 Fragen von Dr. Arthur Aron schon immer fasziniert haben. Und ich bin zuversichtlich, dass mir dieses Buch vor fünf Jahren auch noch extrem gut gefallen hätte. Leider sind bestimmte Aussagen und Szenen in etwa so gut gealtert wie eine geöffnete Packung Milch, die man im Hochsommer auf einen sonnigen Balkon gestellt hat.
Aber beginnen wir am Anfang. Die Story beginnt für Hildy und Paul direkt damit, dass sie sich für die Studie melden und im Zuge dieser in einem Raum landen, um sich dort die 36 Fragen von Arthur Aron zu stellen.
Und hier habe ich direkt das erste Manko. Sobald die beiden sich gegenseitig die Fragen stellen und auf sie antworten, wird aus dem Fließtext des Buches ein drehbuch-artiger Dialog. Grundsätzlich ein cooles Stilmittel, um den Fokus auf das Gespräch der beiden zu lenken, aber für mich persönlich besteht ein guter Dialog aus mehr als nur dem Gesagten. Ich will auch wissen, was die Gestik und Mimik der Charaktere währenddessen ist und das gibt mir dieses Buch halt in diesen Szenen überhaupt nicht. Man kann aus den Hinweisen im Gespräch nur vermuten, was nebenbei passiert. Beispielsweise fängt er an, auf einem random Blatt Papier zu zeichnen, was wir jedoch erst erfahren, als Hildy ihn schließlich fragt, was er denn zeichnet.
Da die beiden nicht alle 36 Fragen in einem Rutsch beantworten und demnach nicht das ganze Buch aus diesem Drehbuchstil besteht, ist das halb so wild. Und ab und an sind die Dialoge tatsächlich echt amüsant. Hildy und Paul heben den Begriff „verbalen Schlagabtausch“ wirklich auf das nächste Level. (Hätte meiner Meinung nach aber auch ohne den Stilwechsel funktioniert.)
In den Fließtextkapiteln folgen wir Hildy, die etwas chaotisch ist, aber ein gutes Herz hat. Sie liebt ihren kleinen Bruder Gabe und leidet unter der angespannten Stimmung, die aktuell in ihrer Familie herrscht. Etwas Ablenkung bekommt sie durch ihre Freundesgruppe, die leider den absoluten Klischees der späten 2010er-Jugendromane entspricht.
Da gibt es ihre beste Freundin Xiu, die allerdings den Großteil des Buches von ihrem neuen Freund James wie besessen und ansonsten damit beschäftigt ist, Hildy die Sache mit Paul direkt wieder auszureden. Kein Wunder, dass Hildy ihr demnach nichts mehr erzählt – worüber sich Xiu dann natürlich aufregt. Vernünftige Kommunikation gibt es zwischen den beiden nicht wirklich. Auf der anderen Seite gibt es noch ihren schwulen besten Freund Max, der homosexuell ist und auf Jungs steht. Habe ich schon erwähnt, dass er schwul ist? Das scheint nämlich 95% seiner Persönlichkeit auszumachen. Die anderen 5% belaufen sich auf die Theater-AG und dass er Hildy gelegentlich hilft. (Was schon mehr ist, als Xiu vorzuweisen hat.)
Über Paul erfahren wir zunächst weniger. Nur das, was er Hildy (und uns) durch seine Antworten auf die Fragen offenbart. Ich hätte mir einen besseren Einblick in sein Leben gewünscht, um ihn als Charakter besser einschätzen zu können. Durch die Fragen kriegen wir zwar nach und nach Einblick in seine Vergangenheit, aber wie sieht seine Gegenwart aus? In dieser Hinsicht schmeißt die Autorin uns gegen Ende noch ein, zwei Brotkrumen hin, aber das war’s. Etwas schade. Allerdings muss ich sagen, dass er ein wirklich begnadeter Zeichner ist. Immerhin zieren einige seiner Illus auch die Seiten im Buch und haben mich mehr als einmal zum Schmunzeln gebracht.
Auch wenn ich am Anfang Probleme hatte, mit Hildy warm und aus Paul schlau zu werden, haben sie sich im Laufe des Buches tatsächlich in mein Herz geschlichen. Allerdings ist das Buch immer noch eine Romanze … und als Pärchen gebe ich den beiden nicht mal zwei Wochen, bevor das nächste Missverständnis ihre Beziehung wieder zerstört.
Und zu guter Letzt noch ein paar Worte zu den Szenen, die mir beim Lesen immer wieder sauer aufgestoßen sind. Klar, das Buch ist von 2018 und damals wurde noch nicht so sehr darauf geachtet, aber ich möchte es trotzdem nicht ignorieren.
Beispielsweise vermutet Hildy, dass Paul mal eine Freundin hatte, die sich zu einem Jungen hat umoperieren lassen. Ihre Worte, nicht meine. Diese hypothetische Person, die Hildy sich da ausgedacht hat, wird aber selbst nach dieser Aussage immer noch mit weiblichen Pronomen angesprochen, aber die beiden sind ja nicht homophob (so steht es im Buch, obwohl es transphob heißen müsste, aber so ganz nehm ich ihnen die trans* Allyship trotzdem nicht ab.).
In einer weiteren Szene muss Hildy sich anhören, dass ihre Regelschmerzen sich bessern werden, wenn sie erst selbst Kinder hat. Und das ist auf so vielen Ebenen problematisch, die ich hier hoffentlich nicht aufzählen muss. Können wir bitte aufhören, Kinderkriegen als das alleinige Heilmittel aller gynäkologischen Beschwerden hinzustellen und stattdessen praktikablere Lösungen finden? Danke.
In diesem Stil finden sich einige fragwürdige Perlen in diesem Buch und obwohl ich durchaus Spaß mit der Geschichte hatte, hat das meine Freude beim Lesen ganz schön getrübt. Leider.
Im Großen und Ganzen:
„36 Fragen an dich“ von Vicki Grant besticht mit einer guten Idee und zwei sehr unterschiedlichen Charakteren, deren Wortgefechte zwar sehr amüsant sind, die aber als Paar überhaupt nicht funktionieren. Dieses Buch ist ein netter Zeitvertreib, aber nicht zuletzt durch die fragwürdigen, schlecht gealterten Aussagen nicht meine erste Wahl.
Weitere Informationen:
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- Titel: 36 Fragen an dich
- Reihe: /
- Autor*in: Vicki Grant
- Verlag: Heyne fliegt (Penguin Random House)
- Seiten: 336
- ISBN: 978-3453271654
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